Was können NFT denn jetzt aber für Tanz bedeuten?

Tanz im klassischen Sinne einer Bühnenkunst wirkt erst einmal denkbar weit entfernt von digitaler Kunst, von allem, was in den oben stehenden Texten über Kryptowährung, virtuelle Sammelkarten und Katzen des Internets steht. Tanz ist eine darstellende Kunst, die durch den Live-Charakter lebt. Natürlich gibt es Videos, aber auch das hat die Pandemie gezeigt: Sie sind selten ein Ersatz für das Erlebnis des Aufführungsbesuchs.

Doch eine wichtige Eigenschaft teilen Tanz und digitale Kunst:
 Auch Tanz ist vervielfältigbar, kann kopiert werden und ist nicht als physisches Objekt besitz- oder sammelbar. Jede*r (mit den entsprechenden physischen Voraussetzungen) kann es nachtanzen, ebenso wie jede*r ein digitales Bild weiterleiten oder kopieren kann.

Der Besitz und das damit verbundene Sammeln von Tanz - nicht im Sinne von Urheberrecht oder Autor*innenschaft und auch nicht im Sinne des Besitzens einer seltenen Aufzeichnung, sondern tatsächlich auf den einen spezifischen Moment ihrer Ausführung bezogen - scheint aus einer klassischen Tanzperspektive vielleicht zunächst absurd. Aber warum eigentlich?

Zu Beginn meiner Recherche habe ich mich gefragt, inwiefern der Gedanke Tanz festhalten zu wollen, ihn besitzbar und sammelbar zu machen dem transitorischen Aspekt und maßgeblichem Live-Charakter des zeitgenössischen Tanz widerspricht. Tatsächlich geht der grundlegende inhaltliche Gedanke stark auseinander. Dennoch gilt es auch zu unterscheiden: NFTs sind erst einmal keine bestimmte Art von Kunst oder Tanz, kein Genre und auch kein neues Rezeptionsformat. Sie sind ein Zertifikat, eine Möglichkeit der Besitzbarkeit und der Kapitalisierung. 

Ein Blick auf die NFTs in der Bildenden Kunst zeigt, dass diese für zwei sehr verschiedene Gruppierungen auf unterschiedliche Weise Sinn machen. Zum einen für etablierte Künstler*innen, die dadurch ihre Art Kunst zu verkaufen vielschichtiger machen und einen neuen Markt erreichen. Zum anderen für (noch nicht zwangsläufig renommierte) Künstler*innen, die digital arbeiten. Digital arbeiten bedeutet nicht nur oder ausschließlich eine digitale Repräsentation, sondern alle Formen, die digitale Technologie als Teil ihres kreativen Produktionsprozesses verstehen.

Mehr Aufschluss über die Frage nach spezifischen Formästhetiken bei Tanz NFTs gibt ein Blick auf Tänzer*innen und Performer*innen, die bereits mit NFTs arbeiten. Zwei Beispiele finden sich hier von Dancevatar und Kristina Rogozina. Beide Tänzerinnen erzeugen kurze Videos, die nicht lediglich sie selbst beim Tanz abbilden, vielmehr verbinden sie ihren Tanz mit visueller Kunst und Videoarbeit, führen den Tanz also über die körperliche Bewegungsabfolge hinaus wie es auch ein Bühnenstück tun würde, nur eben mit anderen Mitteln. Auch sie nutzen also die Technologie nicht nur zur Produktion, sondern als Teil der kreativen Konzeption wie auch der Umsetzung.

Ein anderes Beispiel eines recht erfolgreichen NFT Tänzers ist Matías Hinoyosa, ein chilenischer Krumptänzer, der in seinen Videos seinen Tanz vor surrealistisch anmutende Kulisse setzt. 

Wieder andere Künstler*innen benutzen ihren Background im Tanz als Ausgangspunkt für visuelle Arbeiten, wie Diego Mac.

Weitere Tänzerinnen, die NFTs verkaufen, sind unter anderem:
https://twitter.com/NicolasGaticaCM / https://foundation.app/@CryptoMoves
https://twitter.com/olivialburgess / https://foundation.app/collection/eden-6477
https://twitter.com/sventaylor / https://opensea.io/collection/moving-through-the-blockchain

Ein Künstler aus dem deutschsprachigen Raum, der mit Tanz als Element arbeitet, findet sich hier:
https://twitter.com/TheMadMercenary/https://objkt.com/profile/tz1PEkni8U4XKXLNtspcFF2jXkyGkfMyPjoL/created

Interessanterweise scheinen die meisten Tänzer*innen Foundation als Marketplace zu benutzen. Die Plattform konnte anfangs nur mit Einladung verbunden benutzt werden, ist mittlerweile aber allen zugänglich. Warum sie sich als Plattform für Tanz und Performance NFTs aus dem englischsprachigen Raum durchgesetzt zu haben scheint, ist unklar, vor allem da die Gebühren dort sehr hoch sind.

Auffällig ist, dass es sich vor allem um Solokünstler*innen (maximal auch im Duo wie Neosutras arbeitend) zu handeln scheint, die zwar häufig in Kolloboration mit Visual oder Digital Artists arbeiten, aber meistens allein als Tanzende im Bild zu sehen sind. 

Ästhetisch steht die Verbindung der Bildarchitektur mit der Bewegungskomposition im Vordergrund. Oft ist die Bildlandschaft, in der sich die Körper befinden, in Abhängigkeit zur Choreographie gestaltet oder die Bildumgebung bewegt sich sogar in Korrelation zu Körperlinien und Bewegungen der tanzenden Person. Die digitale Bearbeitung der Videos sorgt für eine zusätzliche Abstraktionsebene. Die Künstler*innen verkaufen also nicht nur ihren Tanz als NFTs, sondern führen Tanz als Mittel in einen Entstehungsprozess ein, indem im Zusammenspiel mit Setting, Bildkomposition, Kamera und digitaler Bearbeitung ein digitales Kunstwerk erzeugt wird. Häufig sind die Videos als Loops bearbeitet und die sich endlos wiederholenden Bewegungen entwickeln eine Art Sogwirkung. Konkrete Inhalte scheinen eher weniger transportiert zu werden, was auch an der begrenzten Dauer der Videos liegen kann. (Zwar ist es durchaus möglich ein längeres Video als NFT zu minten, doch eher unüblich, da mit größerem Datenvolumen auch die Gebühren für den Upload steigen.)

Auf die Frage, ob Tanz und NFTs sich bereits ausschließen, weil die grundlegende Eigenschaft des Live-Moments nicht gegeben ist, lässt sich hier also antworten, dass Tanz in diesen Beispielen auf andere Weise benutzt wird als auf der Bühne. Es ist nicht die Einmaligkeit und Nicht-Wiederholbarkeit eines ephemeren Aufführungsmoments, sondern gerade die Möglichkeit sich etwas immer wieder anzuschauen, die Tanz als digitales Mittel auszeichnet. Auch wird Tanz mehr zum gleichberechtigten Mittel neben anderen statt zum Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Der Körper ist nicht das fleischliche Gegenüber, das mit uns, also den Betrachter*innen, in Ko-Präsenz tritt, sondern Teil der digitalen Welt, in der er sich verhält und die er durch seine Formen und Bewegungen ästhetisch mit gestaltet. Dies lässt inhaltlich konzeptuell an Themenkomplexe des Transhumanismus denken, kommt allerdings ohne die Cyborg-Ästhetik aus, die in Bühnenarbeiten oft bei der Auseinandersetzung hiermit anklingt. Vielmehr scheint der Körper auf natürliche Art Teil der digitalen Welt geworden zu sein. Sein virtuelles Abbild ist ebenso bearbeitet wie das ganze digitale Bild dessen Teil er ist. An seinem Tanz fasziniert uns nicht seine körperliche Anwesenheit, sondern seine Zugehörigkeit zur Welt auf unserem Screen. Tanz wird hier nicht digital rezipiert oder nur übertragen, sondern Tanz wird bei diesen Arbeiten zu digitaler Kunst.

Ein anderes Beispiel für NFTs in Kombination mit Tanz ist die Aktion der Tanzagentur AMCK DANCE aus London. Die von ihnen zum Verkauf angebotenen Dateien zeigten zwar keinen Tanz, aber die Gesichter der Tänzer*innen, die durch die Agentur vertreten werden im Stil von Sportler*innensammelkarten. Außerdem waren mit dem Kauf der NFTs bestimmte Benefits verknüpft, wie beispielsweise Mentoring durch die Gründerin der Agentur, Zugang zu Extra Merchandise usw. AMCK hat NFTs als Möglichkeit zur Förderung und Fanbildung verstanden und genutzt. Am 22.2.22 wurde die Kollektion auf OpenSea gedroppt, leider sind sie dort nicht mehr auffindbar, weswegen unklar bleibt, wie erfolgreich die Aktion war.

Neben den eigens für NFTs und als digitales Format produzierten Arbeiten bieten sich meiner Einschätzung nach und basierend auf den bisherigen Rechercheergebnnissen zwei weitere Möglichkeiten für die Verbindung von Tanz und NFT an:

Einem ausgeführten tänzerischen Vorgang, der Aufführung einer bestimmten und bereits bekannten analogen Choreographie kann ein NFT zugeordnet werden. Dies lässt sich daran ablesen, dass zwar der bloße Verkauf mit NFTs von physischen Objekten nur schlecht funktioniert, es sei denn es ist bereits ein renommierter Name daran gekoppelt. Beispielsweise könnten Teile der berühmten Choreographie mit Stühlen aus Pina Bauschs Café Müller als NFT verkauft werden, die durch ihre Bekanntheit und die Relevanz der Choreographin mit Sicherheit Sammlerwert hätten. Hierfür könnte es zusätzlich ein digitales und zertifiziertes Video geben.

Ein fiktives Beispiel:  In C von Sasha Waltz & Guests 

Um Anregung dafür zu geben, welche bereits bestehenden Tanz- oder Performanceoprojekte sich für ein NFT Projekt eignen könnten, möchte ich am Beispiel von Sasha Waltz' Arbeit In C beschreiben, wie so eine Umsetzung aussehen könnte und welche Ansatzpunkte ich für vorstellbar und sinnvoll halten würde. In C ist mir hierfür aufgefallen, weil meiner Ansicht darin Produktionsprozess, analoge Bühnen-Tanzperformance und das Fortführen derer inhaltlichen und ästhetischen Grundgedanken als digitale Objekte miteinander verschränkt werden könnten. 

In C ist eine Performance von Sasha Walt & Guests, die unter pandemischen Bedingungen und Einflüssen entstanden ist. Sasha Waltz & Guests bezieht sich darin auf das Minimal Stück In C von Terry Riley von 1964. Dieses besteht aus 53 musikalischen Phrasen. Die Choreographie besteht dementsprechend aus 53 nummerierten Bewegungsphrasen, die modular benutzt werden. Die Tänzer*innen arbeiten sich durch diese Phrasen, sie improvisieren ihren eigenen Weg, es gibt aber klare Regeln und Absprachen. Dementsprechend müssen die Tänzer*innen einander im Blick halten und aufeinander reagieren, das System ist flexibel aber bleibt geschlossen. Die Idee der Arbeit ist es, dass sie sowohl digital als auch analog und mit verschiedenen Besetzungsstärken stattfinden kann. Außerdem ist in der Konzeption bereits eine potentielle Öffnung nach außen eingearbeitet, beispielsweise gibt es Youtube Tutorials, mit denen man die Bewegungsphrasen erlernen kann und in der Projektbeschreibung ist von einem Nachtanzen mit Kindern und Laien die Reden. 

Ich habe In C zum einen als Beispiel gewählt, da es für mich inhaltliche Verwandtschaft mit Ideen, Chancen und Struktur der Blockchain aufweist. Die Bewegungsphrasen sind durch nummeriert, sie dürfen nur in dieser Reihenfolge durchlaufen werden. Vor- und Nachfolger der Phrasen sind unveränderlich und die Tänzer*innen sind zwar frei in welcher Geschwindigkeit sie sich von einer Phrase zur nächsten begeben, dürfen aber als gesamte Gruppe nie mehr als vier Zahlen auseinander liegen. 

In C strebt eine Art des demokratischen und dezentralen Choreographierenan, bei der die Beteiligten überall auf der Welt sein können und die für alle geöffnet werden soll. Auch Terry Riley beschrieb seine Komposition als "democratic score", in dem es unumstößliche Regeln gibt, die den Ablauf garantieren. Die Teilhabe der vielen garantiert den Erfolg der Performance, nicht die Macht einer einzelnen reglementierenden Person oder Institution.

Zum anderen weist das Projekt Aspekte auf, die für das Erstellen und Verkaufen von NFTs sehr interessant sind. Durch die Youtube Tutorials werden die Bewegungsphrasen verbreitet, können geteilt und nachgetanzt werden. So kann ein gewisser Grad an Online-Bekanntheit bereits erlangt werden. Außerdem können nicht nur die Bewegungsphrasen separat als einzelne NFT, sondern darüber hinaus als Set verkauft werden. Matt Fortnow und Quharrison Terry weisen in ihrem NFT Handbuch darauf hin, dass die erfolgreichsten NFTs Teil von größeren Sets waren, wie die schon erwähnten Cryptopunks oder die NBA Topshot NFTs. Das macht ihr Sammeln attraktiver und schmälert nicht ihren Einzelwert. Außerdem könnte man Regeln aus der Choreographie in die Stuktur der NFT-Verkäufe übertragen. Beispielsweise würde die Nummerierung der NFTs der der Bewegungsphrasen entsprechen und ähnlich wie die Tänzer*innen während der Ausführung nur vier Nummern voneinander entfernt sein dürften, dürften Sammler*innen keine zwei NFTs besitzen, die mehr als vier Nummern auseinander liegen o.ä. Des Weiteren ist Sasha Waltz eine sehr renommierte Choreographin. Ein NFT Drop mit ihrer Arbeit würde definitiv schnell auf Interesse stoßen. In meiner Recherche habe ich keine Hinweise darauf gefunden, dass Sasha Waltz & Guests bereits mit NFTs arbeiten.


Die zweite Anwendungsmöglichkeit wäre einer Tik Tok Challenge, die eine kurze Choreographie zu einem Popsong beinhaltet ein NFT zuzuordnen. Das hätte den Vorteil, dass die Interessenten bereits in der digitalen Welt zuhause wären und Tanz in digitalen Formaten kein Novum für sie. Die Hemmschwelle sich mit digitalem Besitz zu beschäftigen und Faszination dafür zu entwickeln, läge viel niedriger. Beispielsweise eine der berühmten TikTok Challenges, die von Millionen von Menschen nachgetanzt werden, deren Urheber*innen dafür oft kein Geld und teilweise nicht mal eine Nennung in Form von Credits oder Tags erhalten, hat bereits eine große Fangemeinde, die online mit dem Werk in Kontakt ist.

Es lässt sich also erkennen, dass NFTs für TikTok insofern bedeutsam sein könnten, dass sie eindeutig Urheberschaft festlegen könnten und nicht nur Credits, sondern auch Follower*innenzahlen für Tänzer*innen bedeuten würden und damit auch medialen wie monetären Erfolg. Das ist besonders interessant, da viele erfolgreiche Challenges (mehr dazu siehe "Tanz und TikTok") von jungen POC stammen und dann dennoch privilegiertiere Stars statt ihnen selbst davon profitieren. Die Möglichkeit durch NFT also Urheberschaft festzulegen und potentiell durch Verkauf und Royalties an jedem Verkauf und Weiterverkauf dieser finanziell teilzuhaben, wäre also durchaus positiv zu bewerten.
Tatsächlich gab es bereits einen ersten NFT Drop von TikTok im September 2021, der sich aber scheinbar primär mit bereits berühmten Usern wie Lil Nas X oder Grimes beschäftigt (die wenig überraschend bereits ein absoluter Profi mit NFTs ist).