Was ist TikTok?
TikTok ist eine digitale Plattform, die 2016 vom chinesischen Unternehmen ByteDance gegründet wurde. Sie dient der Erstellung und dem Teilen kurzer Videos mit einer Dauer von 15 Sekunden bis üblicherweise 3 Minuten. (Können bei Bedarf auch auf 10 Minuten ausgeweitet werden.) Die Videos auf TikTok bedienen verschiedene für die App spezifische Genres. Das sind üblicherweise kurze amateurhaft produzierte Sketche, Tanzvideos, LipSyncvideos und Pranks.
“While millennials earnestly tweet about the stress of their student loans and freelance precarity, Gen Z TikToks in joyous nihilism, mocking a society in which self-determination and upward mobility have long since collapsed.”
Doch die App ist nicht nur wegen ihrer immernoch stetig wachsenden User*innenzahl nicht zu vernachlässigen, sondern kann weit mehr sein als das neue zeitfressende Spielzeug der Generation Z.
In dieser kurzen Keynote im Rahmen der Theater und Netz Konferenz 2021 erklärt Marcus Bösch das politische Potential von TikTok. (0:50 Min - 16:30 Min).
Auch sehr empfehlenswert ist Marcus Böschs Newsletter Understanding TikTok.
Marcus Bösch zeigt also, dass TikTok trotz bekannter Probleme wie Datenschutz und problematischer Algorithmen politisches Potential besitzt. Obwohl es immer wieder Berichte über Zensurprobleme gibt (beispielsweise ein Wortfilter, der Begriffe wie ‚queer‘, ‚schwul‘, oder ‚trans‘ herausgreift) hat sich die App auch einen Namen als Safe space und Communityplattform für queere und marginalisierte Menschen gemacht.
TikTok und Kunst
Während der Covid19-Pandemie erlangte TikTok auch zunehmend Bedeutung für Künstler*innen, die die Plattform nutzten, um ihre Arbeit zu teilen. Teilweise arbeiteten renommierte Institutionen der Bildenden Kunst mit der App, oft waren es aber auch zuvor unbekannte Künstler*innen, die sich mit TikTok einen Namen machten.
Kunsthistorikerin und Cultural Researcher Anne Gerlieb vergleicht TikTok mit einer Art Studio Visit, bei dem Besucher*innen Einblick in den Arbeitsprozess und den Working Space der Künstler*innen haben. Instagram würde dagegen eher wie ein digitaler Ausstellungsort für die Präsentation fertiger Arbeiten benutzt. Hashtags wie feministartist sorgten für Communitybildung und bilden Resistenz gegen exkludierende und marginalisierende Algorithmen.
Anne Gerlieb beschreibt fünf Typen von Videos, mit denen Künstler*innen üblicherweise TikTok bespielen:
- Performance
- Work-in-progress
- direct address videos (hier spricht der/die Künstler*in direkt in die Kamera)
- reviews (Arbeiten anderer oder Ausstellungen besprochen)
- sociohistorical videos (Videos mit kunstgeschichtlichem oder politischem Content)
Tanz auf TikTok
Außerhalb der Kunst-Bubble gehören neben den Sketches und Direct Addressvideos Tanzvideos zum größten Teil des Contents auf TikTok. Meistens haben sie eine Dauer von weniger als einer Minute. Die Tanzenden schauen dabei in die Kamera, performen Bewegungen, die oft Bezug auf die Lyrics nehmen, die sie währenddessen lipsyncen. Die Musik ist meistens aktuelle Popmusik, oder auch Rap, Cloudrap, R’n’B. Der Stil erinnert durch seine Orientierung an die Lyrics der Songs an den Videoclipdancingtrend der Nuller Jahre.
Die Raumnutzung ist begrenzt, da die Kamera an statisch bleibt und die Tanzenden - meistens ein oder zwei, selten mehr Personen - vertikal aufnimmt. So kann es Raumnutzung nach vorn und hinten geben, seitlich jedoch nur stark eingeschränkt. Die Arme und Hände dominieren den Tanz, die Bewegungen sind konstant und oft zeichenhaft. Die Hüfte macht betonte kreisende Bewegungen, oft gehen die Tanzenden abrupt breitbeinig in die Knie, hüpfen oder kicken. Der Blick ist stets in die Kamera gerichtet, meistens wird während des Lipsyncens gelächelt. Teilweise werden Elemente des Voguing oder andere Tanzstile, die ihren Ursprung in verschiedenen von POC hervorgebrachten und geprägten Stilen haben, benutzt. Die Meinungen teilen sich hier zwischen Vorwürfen der Appropriation, vor allem wenn die Creators POC sind, und der Begeisterung für TikTok "as a place where black performance travels beyond its original contexts.”
Die Videos werden oft im öffentlichen Raum aufgenommen, oder in den privaten Wohnungen der TikToker*innen, selten in white spaces oder Studios.
Wer tanzt auf TikTok?
Die berühmteste TikTok Influencerin, die vor allem tanzt, ist Charli D’Amelio. Sie wird als erfolgreichste TikTokerin gehandelt und war die erste, die zunächst 50 Millionen und dann 100 Millionen Follower*innen auf TikTok hatte.
Allgemein sind es vor allem Teenager und junge Menschen, die dort tanzen. Ebenfalls berühmt ist der Tänzer Michael Le, der bereits den TikTok Vorgänger Musical.Ly nutzte und oft Videos postet, in dem er mit seinem kleinen Bruder tanzt und so Tanz und kleinere witzige Szenen verbindet. Zu erfolgreicheren deutschen TikToker*innen, die tanzen, zählt beispielsweise Katharina Wichelhaus.
Besonders mit Beginn der Pandemie haben sich zunehmend professionelle Tänzer*innen der Plattform zugewandt, zumindest im nordamerikanischen Raum, wie hier die New York Times schreibt. Sie beschreiben die Freude, die ihnen die Art zu tanzen gab, die sich durch Leichtigkeit und Playfulness auszeichnet. Außerdem ermöglichte es ihnen ihren Alltag anders zu strukturieren und trotz geschlossener Theater und Opernhäuser vor einem Publikum zu tanzen, auch wenn dieses plötzlich ein anderes war. Sie tanzten Challenges und genossen es andere Stile auszuprobieren als die, die bspw. in klassischen Kompanien von ihnen gefordert wurden. “The dancers are so engaged with their faces. I’ve been doing this postmodern neutral dance face for like a decade. I need to activate my face!” sagte Darrian O'Reilly, die Modern Dance am East Los Angeles College unterrichtet.
Dennoch scheint die Welle (noch) nicht zu professionellen Tänzer*innen in Deutschland übergeschwappt zu sein.
Die Challenge
Ein häufiges Tool ist die Challenge: eine Choreographie zu einem nur sehr kurzen Ausschnitt eines Songs, der dann von möglichst vielen Leuten nachgetanzt wird. Es gibt zahlreiche berühmte Challenges zu Popsongs, die viral gingen, viele Leute erreichten und durch das Nachtanzen durch Celebrities Berühmtheit erlangten. Gerade das Nachtanzen und die sich häufenden und schnell verbreitenden Videos der Challenge verhindern allerdings oft die Festlegung und Überlieferung der Urheberschaft. Die Option durch Popularität und viele Follower*innen auf TikTok Geld zu machen wird erschwert wenn die Urheberschaft erfolgreicher Challenges den Falschen zugeschrieben wird. Häufig kommt es vor, dass TikToker*innen mit größerem Following die Challenges anderer tanzen, ohne diesen Credits zu geben.
Ein Beispiel ist die Challenge Renegade, der damals 14-jährigen Jalaiah Harmon. Wie viele Teenager produzierte Jalaiah ihre Videos zunächst auf anderen Plattformen wie Dubsmash, Funimatee oder Triller und teilte sie dann auf Instagram. Viele der so veröffentlichten und dann erfolgreichen Videos wurden erst anschließend zu Challenges auf TikTok und dort dann häufig ohne eine Nennung der Creators. So geschah es auch mit Renegade und die Challenge, die viral ging, wurde der damals schon überaus erfolgreichen Charli d'Amelio zugesprochen und trug automatisch zu deren Erfolg bei. Als Jalaiah später die Sache zunehmend Publik machte, sprach Charli ihr Credits aus und die beiden tanzten sogar gemeinsam die Challenge. Doch ist es nur eins von vielen Vorkommnissen, bei denen weiße TikToker*innen mit bereits großem Following die Choreographien von nicht-weißen Teenagern benutzten und damit zu ihrem eigenen Erfolg beitrugen.
Ein anderes Beispiel ist die erfolgreiche TikTok Challenge zu Cardi B's Song Up aus dem Jahr 2021. Die beiden Tänzer*innen Mya Johnson und Chris Cotter kreierten die Challenge, die so viral ging, dass sogar Cardi B selbst mehrfach Videos davon teilte. In der berühmten amerikanischen Jimmy Fallon Show wurde die Challenge dann von Addison Rae, einer sehr viel berühmteren TikTokerin getanzt - natürlich ohne den Name der Erfinder*innen zu nennen.
Inzwischen scheint aber durch regelmäßiges Outcallen innerhalb der TikTok Szene mehr Bewusstsein für die Relevanz von Credits zu entstehen und die meisten erfolgreichen Challenges sind mit dc (dance credits) auf den Namen des/der jeweiligen TikToker*in in der Caption zum Video versehen.
Aktuell (Mai 2022) wandert wieder eine TikTokChallenge durch den Algorithmus. Es ist eine kurze Choreographie zu About Damn Time von Lizzo. Der Rolling Stone beschreibt wie Lizzo die TikTok Challenge dafür nutzte, ihren Song zu promoten und seinen Erfolg voranzubringen. Außerdem fragt Brittany Spanos in dem Artikel, ob der langsam zurückgehende Trend der TikTok Tänze dadurch eine Renaissance erlebt.